Petrov's Flu
Familie Petrov hat Grippe – so der deutsche Titel des Films – ist wahrlich ein cineastischer Fiebertraum, dessen komplexe Welt sich in einem stürmischen Rausch vor uns entfaltet. Durchgängig gefüllt mit Symbolen, Details und Referenzen die ihre Bedeutung erst im Laufe des Films erkennen lassen, ist die Kinematografie besonders gelungen. Unzählige Kamerafahrten durch eine düstere Stadtlandschaft, gespickt mit Szenen, die uns die dunkelsten Abgründe des menschlichen Umgangs vor Augen führen, lassen uns teilhaben am Taumel des Protagonisten, der trotz seines Zustands noch im Bus unterwegs ist. Allein die Vorstellung ohne Maske im Bus zu sitzen mag genug sein, um uns auf der Kante des Kinositzes zu halten, aber Kirill Serebrennikov gibt uns auch sonst keine Sekunde um weg zu schauen. Während wir auch seine Frau, eine nicht ganz menschliche Bibliothekarin, und seinen Sohn kennenlernen, bleiben wir dennoch größtenteils in Petrov’s Kopf. Der Film springt zwischen den Zeiten, mal bewegen wir uns in einer sowjetischen, mal in einer post-sowjetischen Umgebung. Gepaart mit psychoanalytischen Reisen in verschiedene Abschnitte von Petrov’s Leben ergibt sich ein kaleidoskopisches Bild und viel gesellschaftlicher Kommentar. Dabei bleibt der Film erstaunlich witzig, denn viel von dem was passiert ist komisch – wirklich lustig, situationsbedingt oder einfach absurd.
Die Inszenierung des gleichnamigen Romans von Axel Salnikov entstand 2020, während eines Prozesses gegen Serebrennikov, dessen Arbeiten vom Russischen Staat als systemkritisch eingestuft wurden. Kirill Serebrennikov lebt inzwischen in Berlin. -CLB
Drama; Russisch mit Untertiteln
Russland 2022
Regie: Kirill Serebrennikov; mit: Semyon Serzin, Chulpan Khamatova, Yuri Kolokolnikov, Alexander Ilin, Vladislav Semiletkov, Julia Peresild
145 Min.